Rollstuhl-Prozess: Erster Verhandlungstag gegen Antiatomaktivistin in Lingen
Worin die Straftat bestehen soll ist immer noch unklar.
Verhandelt wurde eine angebliche Widerstandshandlung während der Demonstration gegen die Brennelementefabrik am 19. Januar 2019 in Lingen, begleitet von zahlreichen Atomkraftgegener*innen.
Gleich zu Beginn des Prozesses stellt die Angeklagte Cécile Lecomte den Antrag, festzustellen, ob sich Polizisten in zivil im Publikum befinden und diese des Raumes zu verweisen. Tatsächlich melden sich sehr zögerlich zunächst ein Mann und später ein zweiter. Der Richter erlaubt ihnen allerdings im Saal zu bleiben, da sie versichern, „privat“ dort zu sein. Worum geht es nun in diesem Prozess, den sich Polizisten „privat“ ansehen wollen?
Weder Cécile Lecomte noch ihr Anwalt erkennen in dem zugrunde liegenden Strafbefehl einen konkrekten Vorwurf. Die Staatsanwalt präzisiert diesen in folgendem „Kernsatz“: Die angeklagte „stellte [n] sich mit ihrem elektrischen Rollstuhl vor den Funkstreifenwagen.“ Der Vorwurf schwankte zwischen gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, Nötigung und Widerstand. Klar wurde für die Beschuldigte nur: „Es handelt sich um einen konstuierten Vorwurf, der Atomkraftgegner*innen einschüchtern soll. Die Anklage sehe nehme ich als Diskriminierung wahr. Denn die Menschen, die um mich standen sind nicht angeklagt worden. Nur ich, weil ich da mit meinem Rollstuhl saß – an der gleichen Stelle wie die anderen Demonstant*innen.“
In ihrer Erklärung zu Beginn des Prozesses nahm Cécile Lecomte zu den Umständen des Verfahrens Stellung: „Die Staatsanwalt bejaht das öffentliche Interesse an der Verfolgung der Sitzblockade einer Rollstuhlfahrerin und stellt das Verfahren gegen ANF Framatome trotz zahlreich gebliebenen ungeklärten Fragen ein. 1000 Liter uranhaltiger Brühe haben sich ins Nichts aufgelöst. Aber das ist kein Grund weiter zu ermitteln.“ Nichtsdestotrotz bestand der Richter wiederholt darauf, dass es sich hier nicht um ein politisches Verfahren handele, da das Bild zähle, welches er sich mache. Seinen Vorschlag, das Verfahren gegen Auflage einzustellen, lehnte die Staatsanwaltschaft entschieden ab.
Cécile Lecomte äußert sich zum Proczess: „Ich verstehe immer noch nicht so wirklich, was mir vorgeworfen wird, außer dass ich dort mit einem Rollstuhl gestanden haben soll, wo es der Polizei nicht lieb war und diesen Ungehorsam bestraft gehört. Das ist in meinen Augen ein politisches Verfahren, ohne politischem Hintergrund hätte es keine Anklage gegeben!“ Sie fährt fort: „Der Richter hat versucht mich zu einer Aussage zu bewegen, er hätte gerne eine verkürzte Beweisaufnahme. Es ist aber mein Recht aus der StPO zum Tathergang zu schweigen, es ist auch mein Recht auf eine ausführliche Beweisaufnahme zu bestehen, wenn ich der Meinung bin, dass ich mich so besser gegen den Vorwurf verteidigen kann. Dies wurde mir aber zum Vorwurf gemacht, als ich die gesundheitliche Belastung durch die stressige nicht barrierefreie Anreise ansprach. Dass es belastend sei, sei meinem Prozessverhalten geschuldet. Ich frage mich: Dürfen nur gesunde Menschen ihre Rechte aus der StPO wahrnehmen?“
Zur Beweisaufnahme kam es nicht, da die verbliebene Zeit nicht ausgereicht hätte, um die vier geladenen Polizeizeug*innen zu befragen.
Der Prozess hatte bereits mit Verzögerung angefangen, da die Anreise mit der Bahn für Rollstuhlfahrer*innen viele Hindernisse mit sich bringt. Zum Beispiel gibt es im Bahnhof Lingen für Rollstuhlfarhrer*innen keine Möglichkeit aus Fernzügen auszusteigen, weil es dort kein Mobilitätspersonal der DB gibt.
Trotz seiner Absurdität wird der nicht eingestellt, sondern 2020 fortgeführt. (PM)
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